9. November – Der Schicksalstag der Deutschen
Hinrichtung Blums, Carl Constantin Heinrich Steffeck, 1848/49

9. November – Der Schicksalstag der Deutschen

|

|

, , , ,

Kein anderes Datum spiegelt die Höhen und Abgründe deutscher Geschichte so deutlich wider wie der 9. November. Revolution, Republik, Diktatur, Pogrom und Wiedervereinigung – alles an einem Tag. Zufall? Oder Schicksal?

1848 – Der Tod von Robert Blum

In Wien fällt der Abgeordnete Robert Blum unter den Kugeln der kaiserlichen Truppen. Er hatte für Freiheit, Demokratie und ein geeintes Deutschland gekämpft. Seine Hinrichtung markiert das Ende der Märzrevolution – und den Beginn einer langen Kette zerplatzter Hoffnungen.

1918 – Das Ende des Kaiserreichs

Der Erste Weltkrieg ist verloren, das Volk steht vor dem Zusammenbruch.
Philipp Scheidemann ruft in Berlin die Republik aus, Karl Liebknecht wenige Stunden später eine sozialistische. Zwei Republiken – zwei Visionen – ein gespaltenes Land.
Die Weimarer Republik entsteht, aber ihre Geburtsstunde trägt schon den Keim ihres Scheiterns in sich.

1923 – Der Hitler-Ludendorff Putsch

Fünf Jahre später marschiert Adolf Hitler in München los. Der sogenannte „Marsch auf die Feldherrnhalle“ endet mit Schüssen und Toten. Hitler landet im Gefängnis – und schreibt dort „Mein Kampf“. Der 9. November wird für ihn zum mythischen Datum. Ein Vorzeichen des Grauens, das noch kommen sollte.

1938 – Maurice Bavaud und die verpasste Chance

Am 9. November 1938 will der Schweizer Maurice Bavaud Hitler töten.
Er steht mit gezückter Pistole in der Menge beim NS-Aufmarsch in München.
Doch er kommt nicht nah genug heran. Bavaud wird verhaftet, gefoltert und 1941 hingerichtet. Einer der ersten Widerständler – vergessen, weil er zur falschen Zeit den Mut hatte.

1938 – Die Reichspogromnacht

Nur Stunden nach Bavauds gescheitertem Versuch brennen in Deutschland die Synagogen. Die „Reichskristallnacht“ wird zum Wendepunkt: Aus Hetze wird Verfolgung, aus Worten werden Taten. Tausende Juden werden verschleppt, Geschäfte geplündert, Gotteshäuser zerstört. Der 9. November bleibt das Symbol für den tiefsten moralischen Absturz Deutschlands.

1967 – Der Protest der 68er

Wieder 9. November, wieder Aufbruch:
An der Universität Hamburg entrollen zwei Studenten ein Transparent mit der Aufschrift
„Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren.“ Die Worte werden zum Symbol der 68er-Bewegung. Eine Generation rebelliert gegen Schweigen, Spießigkeit und verdrängte Vergangenheit – und zwingt das Land, sich selbst in den Spiegel zu sehen.

1969 – Anschlag auf die Jüdische Gemeinde in Berlin

Am 31. Jahrestag der Reichspogromnacht explodiert in der Nacht zum 9. November 1969 eine Bombe im Berliner Gemeindehaus. Palästinensische Terroristen wollten ein Blutbad anrichten. Nur Zufall verhindert Schlimmeres. Ein Schlag ins Gesicht all jener, die glaubten, Antisemitismus sei Geschichte. Er ist nie verschwunden – er hat nur das Gewand gewechselt.

1989 – Der Fall der Berliner Mauer

Dann – endlich – ein 9. November der Hoffnung. Günter Schabowski verliest unbedacht eine Pressemitteilung, die die Welt verändert. Noch in derselben Nacht öffnen sich die Grenzen, die Mauer fällt. Ost und West liegen sich in den Armen, Tränen und Jubel auf den Straßen. Ein Volk, das jahrzehntelang geteilt war, findet zusammen – ohne Blut, ohne Gewalt.

9. November als Nationalfeiertag?

Heute fordert die AfD, den 9. November zum neuen Nationalfeiertag zu machen – als Tag, der alle Facetten deutscher Geschichte vereint: den Mut zur Freiheit, den Schmerz der Schuld und den Willen zur Erneuerung. Statt eines seelenlosen Einheitstages könnte der 9. November ein Tag der Erinnerung und der Selbstachtung sein.

Gerade jetzt, da Selbsthass und Geschichtsvergessenheit die Gesellschaft spalten, wäre es dringend notwendig, wieder einen positiven Blick auf die deutsche Geschichte zu werfen – nicht, um zu verdrängen, sondern um zu begreifen, dass dieses Land mehr ist als Schuld und Scham.

Ein Land, das immer wieder aufgestanden ist – am Schicksalstag der Deutschen.

Entdecke mehr von

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen